Montag, 27. Mai 2013

Progressieren im Turnen; Teil I

Geehrte LeserInnen,

nachdem ich immer wieder mal gefragt werde, was denn für eine Progression für die Übung XYZ am besten zu tun wäre, so möchte ich das kurz für die Allgemeinheit zusammenfassen:

Angenommen, man versucht sich seit geraumer Zeit an HSPU´s. Diese werden im optimalen Fall mit dem Bauch zu Wand ausgeführt, während der Körper einigermassen gerade bzw. mit gekippter Hüfte gut und stabil steht. Weiter beginnen wir ja immer bottom-up, also aus dem Kopfstand.
Leider ist man jetzt mit drei Wiederholungen an einem Punkt angekommen, an dem es nur schwerlich voran geht. Was tun?
Manch einer wird sogleich verzweifelt nach einem neuen Programm suchen, denn man trainiert ja schon ganze acht Trainingseinheiten mit dem gleichen Plan (Achtung: Sarkasmus)...und so muss man natürlich schnell das Programm/ Übungen/ Sätze/ /Geräte/ Sportart wechseln. Nur das kann die Lösung sein.

Der geduldige Leser mag allerdings geneigt sein, strukturierter und unter Beachtung der biologischen Progression an das Problem heranzugehen und so in kurzer Zeit wieder gute Fortschritte zu machen.

Dazu kann man folgende Herangehensweise verwenden, die einfachst auszuführen ist:

1. Wie fühlt man sich: Dazu verwende ich das Zusammenpressen der Faust, andere messen den Puls oder klemmen sich einen Oximeter an den Finger. Was immer man auch macht: Bleibt bei einer Methode und lernt so den Körper kennen. Ist man wirklich schwach, dann ist eben mal ein Pausentag fällig. Ist man aber nur faul...na, dann bedarf es einfach mal wieder einen Tritt in den Arsch oder - noch besser - man verabredet sich mit Gleichgesinnten. Ich bin der Meinung, dass das Theaterstück "Übertraining" viel zu oft gespielt wird und man sich allzuleicht faul zurücklehnt. Alleine in den letzten Monaten habe ich bis zu dreimal am Tag trainiert  und konnte die besten Ergebnisse meiner "Karriere" vorweisen.

2. Nun nehmen wir an, dass es ein guter Tag ist. Weiter nehmen wir an, dass die Satzaufteilung wohl so aussehen wird: 3, 2, 1, 1, 2, 1, 1, 0.5
Nicht so schlecht, aber schon ziemlich anstrengend für den Körper und das Nervensystem.

3. Das Volumen ist ja noch nicht so hoch, aber dennoch sollten alle Sätze auf je eine Wiederholung reduziert werden. Man sieht hier zwar im fünften Satz noch einen kleinen Sprung auf 2 Wiederholungen, aber das ist das Nervensystem, dass hier noch mal aufdreht. Somit machen wir Einzelwiederholungen bei festen Pausenzeiten von genau 90 Sekunden. Ich habe diesen Teil auch völlig unterschätzt, aber das Messen der Pausenzeiten hält einen auf Trab und man kann sich nur schwer ablenken lassen. Wer dennoch auf äusserliche Einwirkungen reagiert, der sollte auch hier seine Einstellung ändern. Training = Vollgas. Nach dem Training = Klatsch und Tratsch.

4. Somit machen wir jetzt 10 Einzelwiederholungen...und hören wieder in uns. Fühlt es sich gut an? Kraftvoll?
Dann werden wir die negative Phase anpassen und uns fünf Sekunden Zeit nehmen, um uns abzulassen. Das reicht aus, denn wir haben ja mit dem HSPU am Boden eine recht kurze ROM. Sollte man aber auf Parallettes trainieren - was ich dringend empfehle - dann erhöht man die Dauer der negativen Phase auf 10 Sekunden.

5. Die ersten drei Einheiten werden schwer...und immer schwerer. Aber hier heisst es dann Zähne zusammenbeissen und nicht ins Jammertal einzureisen. Man verbessert sich nicht, wenn man neben dem Magnesium gleich einen Pack Taschentücher zum Trocknen der kleinen, kleinen Aua-Tränen liegen hat.

6. Nach einigen Trainingseinheiten kommt auf einmal ein Schub..."Boah...hammer...ich flieg ja fast nach oben". Nun kann sich leicht verleiten lassen und gleich mal einige Wiederholungen zusätzlichen machen. Das lassen wir aber und verkürzen stattdessen die negative Phase auf drei Sekunden und bauen am untersten Punkte eine drei-sekündige Haltephase ein. Halten heisst hier: Volle Anspannung aller Muskeln, vom Kopf bis an den Zeh.

7. Dies führen wir wieder einige Trainingseinheiten aus und es kommt wieder der Punkt, an dem es eine Adaption gegeben hat...das merkt man, denn es fühlt sich alles bombig an.

8. Nun sind wir bereit und führen in der folgenden Trainingseinheit den ersten Satz mit 2 WH aus. Dieser wird leicht sein, logischerweise. Dann macht man einen zweiten, einen dritten, einen vierten Satz mit je zwei WH. Ist man gut drauf und man schafft 9 Sätze mit je zwei Wiederholungen, dann gibt man im LETZTEN Satz Vollgas und gibt alles. Vielleicht gelingt noch ein Dreier, mit Elan vielleicht sogar noch mehr.

9. Dieses letzte Training merkt man sich, schreibt es auf, wie auch immer und versucht es dreimal auszuführen. Keine Änderung an den Wiederholungen, nichts...nur das gleiche Workout nochmal. Man bestätigt praktisch seine Leistungen.

10. Schafft man es - und davon ist auszugehen - fängt man wieder von vorne an, diesmal aber mit eben zwei Wiederholungen pro Satz gefolgt von langer negativer Phase gefolgt von kürzer negativer Phase plus Haltezeit.

Diese Methodik ist natürlich sehr strukturiert. Allerdings kann dies auch langweilig werden und man beginnt abzuschweifen, man sucht sich neues Trainingsprogramm, neue Sportart, etc. pp. Hier gilt es wieder: Durchbeissen.

8 Kommentare:

  1. Danke für den Post, der mal wieder sehr interessant ist.
    Aber: Was mache ich wenn ich, wie ich tatsächlich, keine einzige Wiederholung aus dem Kopfstand drücken kann, nichtmal mit Rücken zur Wand.
    Wie arbeite ich darauf hin? Mit negativen Wiederholungen in Paralettes nach obigem Schema?

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    1. Wenn Du keine einzige Wiederholung aus dem Kopfstand drücken kannst, dann muss man grundsätzlich anders beginnen, da hier wohl eine nicht unerhebliche Trizepsschwäche vorliegt. Ich würde hier mit statischem Halten des Handstands unter Berücksichtigung eines maximal schulterweiten Handabstands in Kombi mit partiellen Wiederholungen beginnen. Dies alles im Supersatz mit Klimmzügen.

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  2. Verdammt guter Post! Sollte ich mir vor jeder Trainingseinheit durchlesen, da ich auch zu schnell die Geduld verliere und Übungen etc. austausche... Vielen Dank!

    Ich hoffe, Teil 2 behandelt auch statische Positionen, kämpfe schon ewig mit dem advanced tucked Front Lever...

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    1. Statische Übungen können hier ähnlich angegangen werden, aber ich kann bei Bedarf in einem der nächsten Einträger genauer darauf eingehen.

      Und Du hast es schon erkannt...nicht das Trainingsprogramm ist entscheidend, sondern der Elan, die Geduld und Beharrlichkeit ist das Wichtigste.

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  3. Danke für diesen super Post. Eigentlich könnte man dieses Programm ja auch für Muscle ups verwenden? Mein Problem liegt im Umsatz zwischen Klimmzug und unterer Dip-Position. Ich helfe hier immer mit den Beinen mit. Ist das sinnvoll?

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    1. Im Grunde kannst Du dieses Programm auch für Muscle ups verwenden, aber hier solltest für die Bewegung vom hohen Dip bis zum tiefen Hang mindestens 10 Sekunden einplanen, eher mehr, denn alleine die Transition sollte 5 Sekunden dauern.
      Parallel dazu false grip pull ups mit richtig Power, aber auf keinen Fall den Crossfit Unsinn mit Kipping und Hüftaufschwung bis zum Himmel.

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  4. Schöner Post.

    Ich wollte schon seit einer ganzen Weile mal fragen, wie bei dir das Training morgens denn so abläuft. Ich habe eine Weile morgens Krafttraining mit den statischen Halteübungen(FL,BL) gemacht und festgestellt, dass das doch deutlich schlechter geht, als später am Tag.
    Das ist natürlich verständlich, da die ganzen Turnübungen ja ziemlich viel vom ZNS verlangen und auch an Koordination einiges nötig ist, damit die Form gewahrt bleibt. Bei mir ging das bei allen Übungen so, die in Richtung Maximalkraft ausgelegt waren. Übungen mit mehr Volumen, sprich weniger Last waren da etwas angenehmer.

    Wie sind da deine Erfahrungen? Würdest du da eher dazu raten morgens weniger "anstrengende" Übungen zu machen, sprich eventuell mehr auf Volumen zu gehen, oder hast du da andere Tipps?

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    1. Ich selbst könnte keine Levers am frühen Morgen ausführen, da bin ich einfach nicht konzentriert genug. Für mich funktioniert aber Handstand und Derivate sehr gut, weiter auch Waldläufe und co.

      Bisher gut gefahren bin ich auch mit allen Klimmzugarten und die Gegenübungen wie HSPU, einarmige LS usw.
      Das musst ausprobieren und dann das für Dich Beste rauspicken.

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Einfaches Training......Training mit Ringen und BWEs